Tuesday, October 1, 2013

сентябрь II.


[dt]
Ein trüber Tag begann heute. Der letzte dieses Septembers. 
Zeit stieß, zog, hob & sank- hin und her.
Die eigenen Nervenstränge summten eine alte, wütende Melodie durch alle eigenen Fleischlappen. So sehr wage ich zu bezweifeln, dass mir lückenlos Sprünge zu fremden Fleischlappen zu vereiteln möglich war. Es bleibt nichts, als zu erschrecken davor -das, was um mich ist, vor diesen intimen Tonfarben zu schützen. Die bekannten Sinne reichen jedoch nicht aus, um Risse auszuschließen; & ein Durchzug beginnt...
Meine Kopfhaut erstarrt seit ein paar Tagen wieder zur der mir gut bekannten Dürre, die noch in Berlin mal ihr Debut hatte. Ich kratze mich und zähle und lese die muldigen Hautflocken auf, wie Buchstaben und Wörter; ich sammle sie zart und gehe mit ihnen auf Euch zu.
Mein Stereotyp (bei weitem nicht der Einzige) – wie man ihn in Pavlovsk fleißig rezitiert. Jeder hat welche. Welche, die einen geißeln, dahin tragen, fest ziehen, zeitweise belästigen, in die Knie zerren, in Stand und Referenz üben lassen- gegenüber der Welt, die einen lächelnd herausfordert. Schon mit einem Funken all dem Ruhe entgegen zu halten -so krank die Art es zu tun auch sein mag- wird stets streng von gesunden Augen geprüft. Wer ist gesund?

Trüb, wie einmal geschrieben. Trüber, wie Vadim's Blick, der uns Sehenden eine Blindheit verleiht, die mich ruhig schlafen lässt, den inneren Wahnsinn verwarnt und tadelt, wie ein gezähmtes Kind in die Schranken weist; den gesunden Verstand gießt und gierig sprießen lässt -ja, die Arbeit windstill verrichten lässt.
Der Katarakt, der Vadim's Blick bedeckt, ist der graue Regenbogen der sich heute düster über das Zimmer der 9 weiteren Kinder welzte.
Das ist mein Ort. Etwa 6 Stunden am Tag, 4 mal 5 Tage monatlich. Es gibt aber viele Zimmer. 

Vadim's Stereotyp: 2 Wörter. “Buh” (meine Vermutung= das tschechische Wort für “Gott”) & “Abba” (das aramäische Wort für den 11. Monat im hebräischen Kalender). Man sagt, betritt man diesen Monat, erlischt das Glück.
Wäre ich blind, und sähe ich nichts als die Bittschrift um das Licht anderer Menschen; besäße ich einen Geist, der diesen anderen Menschen nach außen nur 2 Wörter hinaustragen könnte,
würde auch ich diese Beiden wählen.
Wiederrum kann es auch sein, das eine schwedische Band in die Luft gesprengt werden könnte, wurde bzw. sollte.

Betritt man morgens das Waisenhaus, so ist es eine Pforte in eine andere seltene Ebene. Der Geruch, so enorm -ja kompliziert und verzweigt- wurde an diesem Ort erfunden: ein Äonen alter Haferbrei, der jeden Tag aufs Neue gekocht wird und jeden Tag eine neue Schicht auf die ewig vorher Gewesenen hinüberstreicht. 
Pisse, Scheiße & Erbrochenes schleicht und treibt sein Unwesen, schwebt flehend von Schulter zu Schulter, neigt sich über und beteuert murmelnd aber auch seine eigene Not und verkündet unterwürfig die Bitte um Verständnis, an mich. Es ist nicht zu viel, dass es an die Französische Revolution erinnert; an ihr damals schon rasch in Verunglimpfung gezogenes Motto. Wo, wenn nicht an einem so geheimnissvollen absonderlichen Ort wie hier, der Hauptstadt von zerstörerischer Hoffnung, zuverlässiger Zuflucht, auflehnender Güte der Besucher, die das Anwesen dieser mächtigen, still-kreischenden Wesen aufsuchen -dieser Kinder, die uns zeigen, wie sehr sie die Fähigkeit haben, Kinder zu sein- , können diese Grundsätze ein Eigenleben gebären? (und wie schwierig ist es diese Kunst -Kind zu sein- eisern zu halten, zu verteidigen?)

Es ist schwer mit dem eigenen Mittag.
Nach all dem, selber Trinken & Essen zu sich zu nehmen ist seltsam. Dabei ist der Ekel eher langweilig, und nicht gemeint hier; schnell in Vergessenheit geraten, da er am einfachsten zu verzeichnen ist.
Eher wird einem der unsichtbare Schluckreflex, der dehnende Rachen, der empfindsame Gaumen, die fleißige Zunge, die erzogenen Zähne -alle ihre Heldentaten- ins Bewusstsein, in die erste Reihe, gerufen. 

Vadim trägt einen tobenden Sturm in sich. Ehrlich, derb und voller genauem Verlangen. Aber die Tracht seines Körpers verschließt diese inneren Freunde so gekonnt, dass meine eigene zischende Windstille zu einem braven Witz entarnt wird. Seine Beine und seine eine Hand sind kühl von Spastik gemeißelt, auf lange Zeit verrenkt. Wie Haken schlingen sie sich um alles, wie wandernde lange Pflanzen, die in einem leisen Grau erstarren.
Ich habe heute zu spät mit ihm gefrühstückt. Er beißt sich oft und prügelt sein eigenes Gesicht, an vielen Tagen- auch wenn wir nicht hinschauen. Ich trage die Verantwortung für seine trübe Laune, die sich dann heute zog, hob, sank und stieß.

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